Am 6. Februar 2019 stimmte Deutschland zusammen mit der Mehrheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einer Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige zu (RL (EU) 2019/1158). Die Umsetzungsfrist der Richtlinie in nationales Recht ist mittlerweile abgelaufen. Es folgt ein Überblick zum Stand der Umsetzung in Deutschland.

Der Wunsch nach einer angemessenen Work-Life-Balance wächst in der heutigen schnelllebigen Gesellschaft stetig. Viele Unternehmen reagieren hierauf und garantieren ihren Mitarbeitern bereits zu Beginn der Beschäftigung die Vereinbarkeit von familiären Verpflichtungen und beruflichen Anforderungen.

Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wird das Ziel verfolgt europaweit verbindliche Standards festzulegen. Diese betreffen unter anderem die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt. Zudem soll es Eltern und Personen mit Betreuungs- und Pflegepflichten ermöglicht werden, ihre familiären und beruflichen Verpflichtungen besser miteinander in Einklang zu bringen oder erstere in einer Partnerschaft gerechter aufzuteilen. Verankert sind diese Grundsätze zum Beispiel in Art. 23 und Art. 33 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Am 8. Juni 2022 hat das Bundeskabinett einem Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie zugestimmt (Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG). Die erste Lesung im Bundestag erfolgte erst am 22. September 2022, sodass die Umsetzungsfrist, die am 2. August 2022 abgelaufen ist, nicht eingehalten werden konnte. Wie bereits bei der verspäteten Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie (EU) 2019/1937, hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren angekündigt.

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Grund für die Verzögerung in Deutschland

Begründet hatte das Familienministerium die verzögerte Umsetzung der Richtlinie mit der Aushandlung einer Ausnahme: Deutschland muss die Regelung eines zehntägigen bezahlten Urlaubs für Väter oder den zweiten Elternteil rund um die Geburt des Kindes nicht umsetzen. Dies liegt daran, dass in Deutschland bereits umfassende Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld bestehen, die zum Großteil weit über die vereinbarten Standards hinausgehen. 

Dennoch haben sich die Koalitionspartner im Koalitionsvertrag darauf verständigt, unabhängig von der Elternzeit, eine zweiwöchige Freistellung für Partnerinnen und Partner nach der Geburt eines Kindes einzuführen. Es soll besonders darauf geachtet werden, dass dieses Recht auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften diskriminierungsfrei in Anspruch genommen werden kann. Hierzu soll noch im Jahr 2022 ein eigenes Gesetzgebungsvorhaben angestrebt werden. Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes bleibt noch abzuwarten.

Erforderliche Regelungen für die vollständige Umsetzung der Richtlinie

Obwohl Deutschland mit Elternzeit, Elterngeld, Pflegezeit und Familienpflegezeit bereits umfassende Unterstützungsleistungen bietet, sind für eine vollständige Umsetzung der Richtlinie noch ein paar weitere Regelungen notwendig.

Zum einen muss der Arbeitgeber Ablehnungen von Anträgen auf flexible Arbeitsregelungen in der Elternzeit zukünftig begründen. Freistellungsanträge für Pflegezeiten müssen fristgerecht innerhalb von vier Wochen nach Zugang des Antrags beantwortet und bei Ablehnung ebenfalls begründet werden. Für Beschäftigte in Kleinbetrieben, die mit ihrem Arbeitgeber eine Freistellung nach dem Pflegezeit- oder dem Familienpflegezeitgesetz vereinbaren, gelten die damit verbundenen Rechte und Rechtsfolgen. Es besteht insbesondere ein Kündigungsschutz für die Dauer der vereinbarten Freistellung. Außerdem soll die Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erweitert werden. Sie soll zukünftig als Ansprechpartner für Eltern und pflegende Angehörige dienen, die sich z.B. aufgrund der Inanspruchnahme von Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit benachteiligt fühlen.

Kritik am Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie

Vielfach kritisiert wird, dass der vorgelegte Umsetzungsentwurf vielmehr klarstellende Anpassungen enthält, als dass er tatsächlich zum gewünschten Ausbau eines familienfreundlichen Arbeitsrechts beiträgt. Benachteiligungen, wie das Zurückstellen von Beförderungen, Mobbing oder das Aussortieren von Eltern und pflegenden Angehörigen im Bewerbungsverfahren werden durch den vorgelegten Umsetzungsentwurf nicht beseitigt. Hierfür wäre ein viel umfassenderer Ausbau des Diskriminierungsschutzes notwendig. Ansätze finden sich zwar in der Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) durch die Begründung einer Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Zu beachten ist jedoch, dass der darüber gewährleistete Diskriminierungsschutz nicht über die Regelung des § 612a BGB hinausgeht, der schon ganz allgemein Maßregelungen jeglicher Art verbietet. Die bloße Inanspruchnahme der eigenen Rechte bei der Antidiskriminierungsstelle bringt die Betroffenen letztlich keinen Schritt weiter. 

Fazit

Der Umsetzungsentwurf erhöht hauptsächlich den bürokratischen Aufwand auf der Seite der Arbeitgeber. Ein Ausgleich bisher bestehender Defizite findet dafür aber nicht statt. Akuter Anpassungsbedarf für Arbeitgeber besteht erst mit Umsetzung der Richtlinie. Sofern das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) in der derzeitigen Fassung in Kraft tritt, sind die oben genannten Neuregelungen zu beachten. Bis dahin ist Arbeitgebern zu empfehlen zusammen mit ihren Beschäftigten an der Weiterentwicklung von Arbeitsmodellen zu arbeiten, die eine angemessene Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen.

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